Lieber Andreas, wieder haben wir eine Woche, ohne dich hier zu wissen, überlebt. Sogar der Winter ist an diesem Wochenende zurückgekehrt. Die Kälte ist schon nicht wirklich schön, aber sie wird auch wieder weichen, was mit unserer Sehnsucht nicht passieren wird. Wir waren heute zu einem Gedenkgottesdienst ein Jena. Ebenfalls betroffene Eltern haben diesen für ihren Lasse abhalten lassen. Lasse hat seine Eltern und Geschwister heute vor einem Jahr verlassen. Wir wollten ihnen still zur Seite stehen. Es war eine sehr bewegende Stunde. Lasse war ganz sicher auch ein einzigartiger Junge. Von seiner Schule waren Herr Dr. Rösch und einige Schüler gekommen. Herr Rösch natürlich mit den bekannten Röschletten... Der Gedenkgottesdienst hat uns natürlich auch wieder sehr getroffen. Lasses Mutter hat es geschafft, selbst das Wort zu ergreifen, wir waren so tief berührt, dass ich das hier gar nicht ausführen kann. Erschreckend ihre Ausführungen zu den jährlichen Suizidzahlen und der Stigmatisierung durch unsere kranke Gesellschaft. Sicherlich war uns das alles bekannt, aber es war der richtige Ort, aufmerksam zu machen. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können für euch die Stimme erheben und so lange wir leben, die Erinnerung an euer viel zu kurzes Leben und insbesondere an euch aufrecht erhalten. Du wirst dieses Jahr 30 Jahre. Wir überlegen auch, was wir machen können. Wir würden vielleicht gern einen Erinnerungsabend machen, bei dem wir lustige Geschichten erfahren, die wir ja nun wissen dürfen. Oder auch einfach nur gute Gespräche haben. Mal sehen, ob wir den Mut haben. Es ist ja noch etwas Zeit.
Am Wochenende haben wir dann noch Jeannette’s 50. gefeiert. Vor zehn Jahren warst du noch dabei. Patrick hat in einer witzigen Rede an das seinerzeitige Ereignis erinnert. Patrick hat auch so einen schrecklich knackigen Humor. Das alles ändert leider nichts an unserer unendlichen Traurigkeit, dass wir hier allein sind. Diese Gewissheit, dass unsere Sehnsucht nie enden wird und die Trauer um deinen Verlust den selben Verlauf hat, ist schon eine mächtige Aufgabe, die uns das Leben hier stellt, aber wir sind weiter bemüht, ein halbwegs lebenswertes Leben zu führen. Wir vermissen dich unendlich und entzünden für dich und deinen Weg diese Kerze. Deine zurückgelassenen Eltern
