Lieber Andreas, die erste Woche nach dem Jahresurlaub ist überstanden. Der Herbst fängt so langsam an, Einzug zu halten. Wir haben den heutigen Nachmittag genutzt und haben dein Grab herbstlich bepflanzt. Es tat so weh. Dieses Bewusstsein, dass es nur noch einige Wochen sind, bis dein zweiter Todestag naht. Wir tun eben Dinge, die Eltern nicht tun sollten. Dies fällt so unsagbar schwer. Es gibt keine schlimmere Erfahrung, als das Grab des eigenen Kindes gestalten zu müssen. Papa hing in Erinnerungen fest und stellte fest, dass wir vor 7 Jahren um diese Zeit in Dresden waren. Wir haben deine Bude im Wohnheim versucht auf Vordermann zu bringen und es ist uns wohl auch ganz gut gelungen. Mensch war das eine Saubude. Ja, da war unsere kleine Welt noch in Ordnung und niemals hätten wir einen Gedanken daran verschwendet, dass du uns für immer verlassen könntest. Nun sitzen wir seit fast zwei Jahren hier und müssen mit dieser unvorstellbaren Situation leben. Wir hätten auch nicht gedacht, dass man ein solches Ereignis überhaupt überleben kann. Es ist eben immer noch die Frage, was macht man mit solch einem Leben, wo es außer dem Warten auf das eigene Ableben, keinen Zukunftsgedanken mehr gibt. Es ist und bleibt ein Wechselbad der Gefühle. Es gibt eben Tage, da kommen wir zurecht, aber dann gibt es auch Tage, da ist man völlig gelähmt, kriegt nichts auf die Reihe, ist unkonzentriert, vergesslich und kaputt. Noch haben wir die zwei Fellträger, für die wir Verantwortung haben, möge der Herr beide lange und gesund bei uns lassen. Du merkst schon, heute ist mal wieder so ein schlechterer Tag und wir wünschen uns, dass deine Reise deine Sehnsüchte gestillt hat. Als Zeichen unserer traurigen Lieben und als Wegweise für dich auch diese Woche ein Kerze von deinen verwaisten Eltern.
